Wissenschaft

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Daten sind nicht alles – aber ohne Daten …


Fake Argumentation
Die Prien-Attacke – ein Bärendienst an der Inklusion

KMK-Präsidentin Prien hatte kürzlich „die fortschreitende Inklusion“ als eine mögliche Erklärung für sinkende Kompetenzen von Viertklässlern genannt. Wohl aus Sorge um das Image schulischer Inklusion formulierten 4 Wissenschaftler daraufhin eine Gegenrede, modifiziert im Spiegel. Inklusion sei tatsächlich gar nicht fortgeschritten, und gemeinsamer Unterricht habe neutrale bis positive Auswirkungen auf Regelschüler.

Dabei stieg die Inklusionsquote seit 2011 stetig. Und die Leistungseffekte von Gemeinsamem Lernen beurteilt die Forschung recht uneinheitlich; mal waren zudem Leuchtturm-Ressourcen im Spiel, mal nur ‚leichtere Fälle‘ einbezogen (BeLieF), mal fehlte eine Kontrollgruppe (RIM). Gipfel der Irreführung, basierend auf einer fehlgedeuteten Punktwolke: „(…) je weniger Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf also getrennt in Förderschulen unterrichtet werden, desto geringer fällt tendenziell der Leistungsabfall im IQB-Bildungstrend aus.“

Der schulischen Alltagserfahrung würde völlig zuwiderlaufen, wenn – angesichts fehlender Sonderpädagogen und unterqualifizierter Regellehrkräfte – inklusiver Unterricht die tägliche Förder- und Unterrichtsqualität an Regelschulen gar nicht beeinträchtigen würde. Das aber – und auch die Belastung und Erschöpfung der Lehrerschaft – zu beschweigen, ist riskant. So kann die öffentliche Zustimmung zur Inklusion – und übrigens auch der Zustrom zum Lehrberuf – nur Schaden nehmen.


Langzeitstudie 2021: Ernüchterung

In Berlin wurden die Entwicklungsverläufe von 1300 Schülern im Gemeinsamen Lernen (Jg. 1 – 10) über 6 Jahre begleitet und analysiert. Sonderpädagogischer Förderbedarf wurde in der Grundschule nicht erhoben, insgesamt gab es keine Vergleiche mit segregierter Beschulung.

Befund: Das soziale Miteinander in der Grundschule erwies sich zwar als positiv, in der Pubertät indes sanken die Integrationswerte von ‚Förderkindern‘; und Schüler mit massiven Verhaltensproblemen blieben generell eher Außenseiter. Die kognitive Leistungsentwicklung in der Grundschule erwies sich als durchschnittlich – die stärksten Schüler hielten ihre Position, die Schwächsten stiegen nicht auf.

Bilanz: Schüler mit massiven Verhaltensstörungen profitieren nicht durchgängig von gemeinsamem Unterricht – und Mitschüler sowie Lehrkräfte sind nicht unbegrenzt belastbar. Durch die Auflösung sonderpädagogischer Förderkategorien wird frühe Förderung erschwert, besonders beeinträchtigte Schüler bleiben unterversorgt. Die Lehrerschaft fühlte sich stark überlastet, nur 2 von 28 Schulen würden diesen Weg der Inklusion freiwillig noch einmal gehen.    Kurzfassung AiBe     Forschungsstand insgesamt 2022


„Fact Sheet“ oder Fake Position ?
Einem akademischen Positionspapier zur Inklusion forschungskundig auf den Zahn gefühlt

In der Schweiz wird unter dem Eindruck zunehmender Probleme mit integrativer Beschulung über die Wiederein- bzw. Weiterführung sonderpädagogischer Kleinklassen* diskutiert. Ein offizielles Statement der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik argumentierte in diesem Zusammenhang, inklusive Settings seien separativen eindeutig überlegen. Ein forschungskundiger Sonderschulpraktiker hat nun nachgewiesen, dass diese Position bei genauerem Blick in die erwähnten Studien unhaltbar ist.

*) ähnlich den ‚Partnerklassen‘ in Bayern, ‚Außenklassen‘ in BaWü, ‚Förderklassen‘ in NRW


„Familie in der Schule“ – eine Erleichterung für Inklusive Bildung?

Bei besonderen Schwierigkeiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung: an einem Vormittag pro Woche den Umgang mit schulischen Regeln durch Hinzunahme elterlicher Unterstützung erleichtern (kleine Separation) …
Modell Hessen (in der eigenen Schule): „Familienklasse“
Modell Niedersachsen (an neutralem Ort): „Familie in Schule“


Elternwille zur Inklusion: eingeschränkt befürwortend, mit steigender Eigenerfahrung skeptischer

Umfrage von ZEIT/Infas (2019, n = 1500, repräsentativ):
94% befürworten gemeinsame Freizeit von Kinder mit und ohne Behinderung, aber nur 66% gemeinsamen Unterricht.
Zwar sind 75% von positiven Sozialeffekten schulischer Inklusion überzeugt, aber lediglich 60% meinen, dass ein inklusives Schulsystem gut auf das Berufsleben vorbereitet.
55% der Eltern mit Inklusionserfahrung meinen, dass ein inklusives Schulsystem besonders leistungsstarke Kinder im fachlichen Lernen bremse (Eltern ohne Inklusionserfahrung weniger skeptisch: 47%).
Lediglich 48% der Eltern mit Inklusionserfahrung erwarten eine Verbesserung der Bildungschancen für leistungsschwächere Kinder (Eltern ohne Inklusionserfahrung optimistischer: 64%).     zur Studie

Diese Tendenz entspricht den Befunden einer Erhebung durch Bertelsmann/dimap (2015, n = 4321) sowie einer Studie der HU Berlin in NRW (2015, n = 645).


Hattie-Studie: Kaum nennenswerte Positivbefunde

Die derzeit weltgrößte Metastudie zu Unterrichtseffekten bilanziert den Einfluss inklusiver Maßnahmen (mainstreaming) auf kognitiven Leistungszuwachs mit d = 0,27 – das liegt nicht unerheblich unter dem als Benchmark gesetzten Mittelwert d = 0,4.     aktuelle Faktorenliste
„Die Argumente für eine inklusive Beschulung betreffen eher Fragen der Gleichbehandlung und der sozialen Gerechtigkeit als optimale Effekte auf das Lernen der Betroffenen. (…) [In der größten erfassten Teilstudie* (Carlberg & Kavale), d.V.] wurden gering-positive Effekte für inklusive Beschulung im Vergleich zu Sonderschulklassen nachgewiesen (d = 0,12).“ Quelle: John Hattie: Lernen sichtbar machen. 2009 (dt. 2013), S. 114     ausführlicher dazu

*) Aus dem abstract von Carlberg & Kavale (1980): „Es wurde festgestellt, dass Sonderklassen für Schüler mit unterdurchschnittlichem IQ signifikant schlechter sind als Regelklassen und dass sie für verhaltensgestörte, emotional gestörte und lernbehinderte Kinder signifikant besser sind als Regelklassen.“   zur Studie


„Viele Lehrer von Inklusion nicht gestresst“ – wie man Studien nicht anlegen bzw. referieren sollte

In verschiedenen Medien las man im Herbst 2018, es sei nun „nachgewiesen, dass die meisten Lehrkräfte mit der Inklusion gut umgehen können“. Hintergrund: eine nicht repräsentative Befragung Kölner Lehrer durch die dortige Sporthochschule und Universität – eine Positivauslese ist also nicht auszuschließen, sei es aus Befürwortung des Prinzips „Inklusion“, sei es im Falle guter Ressourcen.  Die berichtete Bilanz, es komme auf die „persönlichen Ressourcen“ der Lehrkräfte an, konnte zu dem Fehlschluss verleiten, ein paar Stressseminare könnten die Defizite einer zumindest gehörig unterfinanzierten Schulreform beheben. Gar nicht war die „Studie“ der Frage nachgegangen, ob Schüler sich im Rahmen von inklusivem Unterricht günstiger entwickeln – oder nicht.     Studienkurzbericht


114. Kongress der Kinder- und Jugendärzte: Mehr ärztlicher Sachverstand bei der Inklusion!

Laut Kongresspräsident Kretzschmar sei das gemeinsame Lernen für manche Kinder ein Segen, für andere könne es eine zu starke Belastung sein. Regelschulklassen mit 25 Schülern gerieten für Autisten mitunter zu einer Art „Folter“. Regelbeschulung könne daher äußerst exkludierend sein, der Besuch einer Förderschule hingegen inkludierend.     Ärztezeitung 17.9.2018


Lagebericht der Bertelsmann-Stiftung zur Inklusion (9/2018): „Thema verfehlt“

Bildungsforscher Klaus Klemm moniert, dass die schulische Inklusion in Deutschland kaum vorankomme – in einigen Bundesländern nähmen die Exklusionsquoten gar zu. Die Untersuchung stösst indes auf vielerlei Kritik …
„Lagebericht“     Bildungskritiker: „Alarmismus“     Inklusionslehrer: „Entscheidend is‘ im Klassenzimmer“


BeLieF-Studie: Vorteile inklusiver Beschulung wider Erwarten fraglich

Längsschnittstudie ergibt: Auch an Förderschulen (LE) äußern Schüler hohes Wohlbefinden; ein Leistungsvorsprung inklusiv beschulter LE-Schüler ist beobachtbar, womöglich aber Folge spezifischer Zuweisungspraxis; das kindliche Entwicklungswohl hängt wohl weniger vom Fördermodell ab als von der jeweiligen Unterrichts- und Förderqualität.
Vergleich mit IQB-Studie 2014     Fachartikel 2018     Interview Prof. Wild im dradio 2017


„Rügener Inklu­sionsmodell“ offenbar überschätzt

Dem „Rügener Inklu­sionsmodell“ (RIM)  galten hohe Erwartungen: Zum einen handelt es sich um einen Flächenversuch, zum anderen existierten bislang kaum belastbare Daten über die Wirksamkeit inklusiver Beschulung in der Sekundarstufe. Leider geriet die offizielle Bewertung der Forschungsbefunde der Uni Rostock arg schönfärberisch – und in der Sekundarphase hatte man auf die Kontrollgruppe ohnehin verzichtet …     Analyse


„Mittendrin – oder nur dabei?

Hörgeschädigte werden an Regelschulen oft nur suboptimal gefördert – aber das fällt den Lehrern nicht auf, weil sie zu wenig fachliche Expertise haben, und weil die Schüler darauf bedacht sind, nicht aufzufallen. Einer Studie von Alexander Hüther zufolge ist die Förderschule keineswegs obsolet – man habe ihr nur einen schlechten Ruf angehangen.      (Artikel nicht mehr verfügbar)


Billiginklusion gefährdet ESE-Kinder – viele brauchen ständige Doppelbesetzung

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit diagnostizierten emotional-sozialen Entwicklungsstörungen hat sich in den vergangenen zwölf Jahren in Deutschland nahezu verdoppelt – und sie bereiten den Regelschulen zunehmend Probleme. Denn immer mehr solcher sogenannter „ESE-Schüler“ müssen an Regelschulen unterrichtet werden, ohne dass dort genügend besonders qualifizierte Sonderpädagogen bereitstünden. Wie kaum eine andere Personengruppe, so betont Bernd Ahrbeck in einem aktuellen Gutachten für den VBE, „stellen diese Schülerinnen und Schüler die Unterrichtenden vor schwierige, mitunter kaum lösbare pädagogische Aufgaben.“    mehr     Expertise & Presseerklärung 2017


Logopäden warnen: Riskante Diagnosedefizite bei Sprachentwicklungsproblemen

Rund ein Drittel aller Schulanfänger habe Sprachprobleme. Sprachtests und Förderprogramme würden aber oft nur mangelhaft ausgeführt: Vielen Kinderärzten fehle das Problembewusstsein, und in den Schulen sei qua Inklusion eine sachgemäße Datenerhebung zunehmend unerwünscht. So der Bundesverband für Logopädie hier.


Vom Gleichsein und Anderssein

Ob körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigt: In der Kinder- und Jugendliteratur sind Akteure mit Behinderungen längst Normalität geworden. Wir sehen sie integriert in die gewohnten Erzählformen – ihre Andersartigkeit bleibt dabei gleichwohl Thema. dradio 23.9.2017


Manches ist möglich – aber bei weitem nicht alles

Eine Redakteurin der ZEIT hat sich die Mühe einer Langzeitbeobachtung gemacht. Sie besuchte sechs Jahre lang – vom Anfang bis zum Abschluss – eine inklusive Klasse der Gesamtschule Ost in Bremen und recherchierte vor Ort, voller Sympathie, aber auch mit Skepsis – in aller Widersprüchlichkeit eben. Ihr Bericht führt Möglichkeiten und Grenzen engagierter pädagogischer Praxis berührend vor Auge.

Klassenstart     Klasse 6     Klasse 7     Klasse 8     Klasse 9     Mittlerer Abschluss


Sonderschulbesuch muss keineswegs zu einer Sackgasse im späteren Lebensverlauf führen

Ein hessischer Förderschullehrer hat in seiner Dissertation untersucht, wie die Biografien von Sonderschülern durch ihren Schulbesuch geprägt wurden. Die Überweisung zur Sonderschule hatte zunächst ihr Selbstgefühl bestätigt, dumm zu sein, daselbst aber fühlten sie sich ausgesprochen wohl: sympathische, verständnisvolle und hoch engagierte Lehrer; eine positive Klassengemeinschaft, die individuelle Schwächen akzeptierte; ein praxis- und lebensorientierter Unterricht, der den jeweiligen Lernstand der Schüler berücksichtigte. Zwei Drittel der Befragten holten den Hauptschulabschluss nach, mehr als der Hälfte gelang der Abschluss einer Ausbildung. Die ausgeübten Tätigkeiten waren meist schlecht bezahlt, bisweilen ergaben sich jedoch auch enorme berufliche Aufstiege.   Artikel [pdf laden]


Zur Erinnerung: „Das Menschenbild der Inklusion“

1. Inklusionskongress M-V an der Uni Rostock 2012     Tagungsband (Teil 1)


Inklusion und Lehrerausbildung im europäischen Kontext

In Hessen soll ein angehender Sonderpädagoge 7200 Studienstunden absolvieren, in Italien gelten Lehrer bereits nach 400 Stunden als inklusionskompetent. Auch sonst unterscheiden sich Definitionen, Methoden und Ausstattung europaweit ganz erheblich.   Ein Kurzüberblick


Inklusion – das „Ei des Kolumbus“ für die Bildungsprivatisierer …

Der Linguist Clemens Knobloch befürchtet, die Zerschlagung der Sonderschulen werde „marktfähige Schichten aus dem öffentlichen Schulwesen heraus manövrieren“. Für einen Sprachwissenschaftler bewundernswert: „die Chuzpe, mit der ein institutionell ausdifferenziertes System von Fördereinrich-tungen für Lernbehinderte mit einem Federstrich als Diskriminierung umdefiniert und abgeschafft werden kann. (…) Das ist eine Politik, der man Orwell´sche Qualitäten nicht absprechen kann.“ im Detail


Auch bei Autismus: Recht auf individuelle Förderung und professionelle Begutachtung

Inklusion macht man nicht mit links. Die Annahme, jeder Lehrer könne mit jeder Form von Förderbedarf angemessen umgehen, wenn er sich nur genügend anstrengt, ist eine „gefährliche Illusion“.    mehr


„Kinder mit Down-Syndrom gehen gerne in die Schule und sind ausgesprochen lernwillig“ …

… wenn sie dort ausreichend betreut und begleitet werden!     Pressemitteilung des DVE 3/2017


David Mitchell: Was wirklich in Sonderpädagogik und Inklusion funktioniert

Überblick über lernwirksame Unterrichtsstrategien in integrativen Settings     Manuskript 5 Seiten


„In ihrer Welt“ oder: Auch für Blinde ist Inklusion nicht nur angenehm …

In einer Langzeit-Doku schildern sehbehinderte Jugendliche, wie schmerzlich es für sie war, das Anderssein in der Inklusion auszuhalten. Ihre Mitschüler interessierten sich für Mode und gingen in die Disko oder ins Kino. Jonas sagt: „Ich hatte immer ein völlig anderes Bild von Integration. Ich hätte mir gewünscht, dass ICH eine Ahnung von der Welt kriege, und nicht die Sehenden eine Ahnung von Blinden.“ (Manuskript bei dradio anfordern: 10.9.2016)


Die wahren Kosten der Inklusion …

Ein nur wenig präsentes Gutachten (erstellt 2009 im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen) bilanziert: Ein pädagogisch substantiell ausgebautes System schulischer Inklusion ist nicht günstiger als das bisherige Förderschulsystem, sondern doppelt so teuer. Ohne enorme zusätzliche Investitionen aber sinkt die Bildungsqualität für die Kinder.     Gutachten     Kurzbericht


HU Berlin: Befragung von Elternvertretungen zur Inklusion

Positive Haltung zum „Gemeinsamen Lernen“, in der konkreten Umsetzung aber erhebliche Probleme (Tempo, Ressourcen personell wie sächlich, Kompetenz der Lehrkräfte, Klassengrößen); massives Votum für bleibendes Wahlrecht der Eltern zwischen Regel- und Förderschule (besonders in Bezirken mit langjähriger Integrations- bzw. Inklusionserfahrung)     Gesamttext (8 Seiten)


Bildungsgerechtigkeit – Gebot oder Gespenst ?

Als Begründung für ein neues inklusives Schulsystem In Deutschland muss regelmäßig die These herhalten, das hiesige Bildungssystem begünstige in besonderem Maße sozial schwache bzw. bildungsferne Schichten. Der Haken bei dieser Argumentation: Sie lässt jede Menge Fakten und Forschungsbefunde außer Acht. Kennt man diese, könnte in der Teilhabefrage mehr Vernunft walten …

Datenlage: ambivalent     Andere Länder (ab S. 17): Äpfel und Birnen     Entscheidend: die Vorschulzeit